Konjunktur & Strategie
15. September 2023

EZB: Alle Vögel fliegen hoch

Beitrag von Carsten Klude

Kennen Sie aus Ihrer Kindheit das Spiel „Alle Vögel fliegen hoch“? Alle Mitspieler sitzen an einem Tisch und trommeln mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. Auf den Ruf des Spielleiters „Alle Vögel fliegen hoch“ heben alle Mitspieler ihre Hände mit ausgestreckten Armen in die Luft. Dann ruft die Spielleitung ein anderes Tier, z.B. "Alle Pferde fliegen hoch! Die Mitspieler müssen nun schnell überlegen, ob das Tier fliegen kann. Kann es das nicht, dürfen sie die Hände nicht in die Luft strecken. Hält jemand aus Versehen doch die Hände hoch, scheidet er aus dem Spiel aus. Ein lustiges Spiel, bei dem man blitzschnell denken und reagieren muss. Nun ist nicht überliefert, ob die Abstimmung über die heutige Zinsentscheidung der EZB ebenfalls auf diese Weise zustande kam und ob Frau Lagarde als Spielleiterin fungierte. Wir können uns aber vorstellen, dass es eine intensive Diskussion zwischen den „Falken“, die für eine weitere Straffung der Geldpolitik votierten, und den „Tauben“, die die Zinsen nicht weiter erhöhen wollten, gegeben hat. Am Ende behielten die Ersteren die Oberhand, so dass bei der Abstimmung entweder alle oder zumindest eine große Mehrheit im EZB-Rat für eine Zinserhöhung stimmten. Ob Taube oder Falke, beide sind dann eben doch Vögel.

Ausschlaggebend für diese Entscheidung dürften die neuen Wachstums- und Inflationsprojektionen der EZB-Volkswirte gewesen sein. Vor allem die Anhebung der Inflationsprognose für das kommende Jahr von bisher 3,0 auf 3,2 Prozent dürfte den Weg für eine noch restriktivere Geldpolitik geebnet haben. Insofern gehen wir davon aus, dass dies der letzte Zinsschritt in diesem Zyklus war. So interpretieren wir auch die Aussagen von Frau Lagarde auf der Pressekonferenz. Bei der nächsten EZB-Sitzung am 26. Oktober sollte sie daher bei der Abstimmung eher „Alle Pinguine fliegen hoch“ rufen. Denn auch wenn Pinguine Vögel sind, können sie nicht fliegen. Von daher sollten alle Hände unten bleiben.

Die jüngsten US-Inflationsdaten für den Monat August sorgten für Verwirrung: Während die Gesamtinflationsrate von 3,2 auf 3,7 Prozent stieg, fiel die Kerninflationsrate, die Energie- und Nahrungsmittelpreise ausklammert, von 4,7 auf 4,3 Prozent. Die unterschiedliche Richtung der beiden Raten ist auf die Entwicklung der Energiepreise zurückzuführen. Gräbt man allerdings etwas tiefer in den Preisstatistiken, so stößt man durchaus auf Erkenntnisse, die den Schluss zulassen, dass der Grad der Zielerreichung deutlich höher ist, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Die US-Gesamtinflation ohne Wohnimmobilien lag im August bei 1,8 Prozent, die Kerninflationsrate ohne „Shelter“, gerne auch als „Super-Core-Inflation“ bezeichnet, bei 2,3 Prozent. Man mag es kaum glauben, aber diese Zahlen entsprechen in etwa dem Bild, das sich ergibt, wenn man die US-Inflation auf Basis des bei uns in der Eurozone verwendeten harmonisierten Verbraucherpreisindex, des HICP, berechnet. Denn in diesem spielen beispielsweise die kalkulatorischen Mieten überhaupt keine Rolle. Die vom US Bureau of Labor Statistics ermittelte Gesamtinflationsrate betrug im August 2,5 Prozent, die Kerninflationsrate lag demnach bei 1,9 Prozent. Wir gehen daher davon aus, dass die Leitzinsen in der kommenden Woche nicht weiter angehoben werden.

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