Konjunktur & Strategie
17. Juni 2022

Schlafwagen gegen Rennwagen: Die Geldpolitik crasht den Rentenmarkt

An den internationalen Anleihemärkten erleben wir derzeit eine denkwürdige Entwicklung. Nach unseren Berechnungen ist es niemals zuvor – zumindest soweit unsere Daten zurückreichen – zu einem derartigen Absturz bei den Anleihekursen gekommen, wie es im Moment zu beobachten ist. Ursache für den Crash am Rentenmarkt ist die Geldpolitik der Notenbanken. Zu lange hatten die US Federal Reserve und die Europäische Zentralbank gehofft, dass der starke Inflationsanstieg nur von kurzer Dauer sein und quasi von selbst wieder verschwinden würde. Diese Fehleinschätzung rächt sich nun, da sich zeigt, dass die Inflationsrate für eine längere Zeit weit über der Zielmarke von zwei Prozent verharrt.

Vor allem die EZB befindet sich weiterhin im „Schlafwagenmodus“. Zwar hat der EZB-Rat auf seiner letzten Sitzung angekündigt, dass er beabsichtigt, die Zinsen im Juli das erste Mal seit dem Jahr 2011 wieder zu erhöhen, allerdings soll es nur einen kleinen Schritt von 25 Basispunkten geben. Danach könnte es aber etwas schneller gehen, sodass der Hauptrefinanzierungssatz am Jahresende 1,25 bis 1,5 Prozent betragen dürfte – wenn (und das ist ein großes wenn) die EZB aus Rücksichtnahme auf die Länder der europäischen Peripherie nicht doch wieder ein zaghafteres Vorgehen beschließt. Im Unterschied zur EZB hat die US-Notenbank ihren Fehler erkannt und mittlerweile den geldpolitischen Turbo gezündet. Fed-Präsident Powell ist damit aus dem Schlafwagen aus- und in den Rennwagen eingestiegen. Am Jahresende dürfte der US-Leitzins dann in einer Spanne von 3,50 bis 3,75 Prozent liegen und im nächsten Jahr auf gut vier Prozent angehoben werden. 

Für die Anleihemärkte zeichnet sich von daher noch keine Entspannung ab. Zwar haben die Kapitalmarktrenditen mittlerweile einen guten Teil der zu erwartenden geldpolitischen Zinswende in den Kursen vorweggenommen, dennoch sollte die Rendite für 10-jährige US-Treasuries noch Richtung vier Prozent ansteigen. Für zehnjährige Bundesanleihen dürften die Rendite noch auf zwei Prozent oder etwas darüber ansteigen.